Familien sind herausfordernd. So vieles wird über das Beziehungsgeflecht transportiert: Gene, Werte, Sichtweisen, Generationenkonflikte, Rituale, Besitz. Wir werden hineingeboren, haben anfangs keine Möglichkeit, es zu überblicken, zu hinterfragen oder zu beeinflussen. Wir werden voll hineingeworfen, mit unserem individuellen Sein und Empfinden, unseren Talenten, Interessen, Bedürfnissen, und lernen irgendwie mit allem zu leben. Mit dem Erwachsenwerden verändern sich die Möglichkeiten und Umstände, wir erschließen uns neue Sichtweisen und Standpunkte, gewinnen an Einfluss und Autorität.
Dennoch fällt es vielen Menschen selbst als Erwachsener nicht leicht, eine unabhängige, souveräne Haltung zu entwickeln und zu vertreten. Vielen gelingt es nicht, persönliche Maßstäbe für Ihr Leben zu entwickeln und ihr Denken und Handeln an selbstgewählten Werten und Visionen auszurichten.
Manche Menschen fühlen sich dazu verpflichtet, ein bestimmtes Familiensystem aufrecht zu erhalten, lassen sich von anderen regelrecht diktieren, wie sie ihr Leben zu führen haben. Sie lassen familiäre Übergriffe über sich ergehen, richten sich nach vorgegebenen Regeln und unterlassen es, eigene Vorstellungen zur Gestaltung des Familienlebens anzubringen. Sie haben die Verantwortung teilweise völlig aus der Hand gegeben und trauen sich in bestimmten Situationen nicht, anderen Familienmitgliedern in bestimmten Punkten zu widersprechen oder Ihnen gegenüber eine unterschiedliche Meinung zu äußern.
Andere wiederum lehnen sich auf, rebellieren gegen familiäre Verpflichtungen und Zwänge und nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, auf Missstände oder bedenkliche Entwicklungen aufmerksam zu machen. Sie vermeiden um jeden Preis sich einzufügen, befürchten in der bestehenden Ordnung unterzugehen und ihr Gesicht in der Harmoniesuppe zu verlieren.
Ganz gleich, an welchem Pol Sie sich selbst eher verorten: Familie fordert immer dazu heraus, das Eigene zu finden. Beide Extreme laden dazu ein, die persönliche Verantwortung abzugeben. Sie gefährden familiäre Beziehungen eher, als dass sie sie fördern.
Doch wie können aufrichtige, tiefe Beziehungen überhaupt entstehen? Wie ist es möglich, sich nahe zu kommen, ohne sich selbst dabei aufzugeben? Wie ist es möglich Kritik anzubringen, ohne Gefahr zu laufen, aus dem Rudel geschmissen zu werden? Wie kann Individuelles und Gemeinschaftliches zusammen gebracht werden.
Es ist ein Experiment. Es erfordert die Bereitschaft zur Auseinandersetzung, das ehrliche Wort. Das beherzte Ja und das ebenso entschlossene Nein. Es braucht die Umarmung, den wiederholten Versuch und die Einladung. Den Mut, Fragen zu stellen, deren Antworten wir scheuen. Es braucht den Mut, die eigene Feigheit hinter sich zu lassen. Es braucht das Aufstehen, das Sitzenbleiben und das Beiseitelegenkönnen – im Innen wie im Außen. Es geht um Verantwortung, um Wollen und um Können. Um Loslassen und Anknüpfen… um Freiheiten und um Grenzen… um Ahnungslosigkeit und Nichtwissen.
Experimentieren Sie, mutig! Lassen Sie sich nicht zu viel durchgehen, und Ihrer Familie ebensowenig.
Haben Sie den Mut, neue Entwicklungen anzustoßen!