Selten lassen sie sich leicht identifizieren und angenehm über die Lippen bringen. Auf Abwehrmechanismen wirken sie wie Zündfunken: Arme werden verschränkt, es wird zur Seite geblickt, geleugnet, verdrängt, geschwiegen… aber auch abgelenkt, rationalisiert, fantasiert, projiziert.
Gehört werden sie nicht gerne und gesagt meist ebenso wenig. Manchmal machen sich Panik, Aggression oder Wut breit, und häufig stehen die Zeichen auf Rückzug. In manchen Kontexten erscheinen sie unmöglich, unerträglich. Die Auseinandersetzung mit ihnen fällt nicht leicht.
Und doch geht es ohne sie nicht, zumindest dann nicht, wenn wir uns selbst wirklich (er)kennen und weiterentwickeln wollen. Wir kommen um sie nicht herum, wenn wir Wert legen auf Charakterbildung und Persönlichkeit, auf authentisches Auftreten und Wirken.
Unangenehme Wahrheiten.
Das ist das Stichwort. Welche kennen Sie? Welche Erkenntnisse, möglicherweise schmerzliche, haben Sie in der jüngsten Zeit gewonnen oder mitgeteilt bekommen? Über sich selbst, über andere?
Welche Wahrheiten bereiten Unbehagen?
In bestimmten Situationen und Konstellationen ist es alles andere als leicht, bestimmte Dinge, Geschehnisse oder Begebenheiten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Tatsächlich wahr-zunehmen, wie sich etwas verhält, kann große Überwindung kosten. Noch viel schwerer ist das Annehmen, das Aussprechen, das Ziehen von Konsequenzen.
Ich glaube, genau dies ist auch der Grund, warum die Konfrontation oft so sehr gescheut wird: unangenehme Wahrheiten rufen, sobald sie bewusst werden, unmittelbar auf zur selbstkritischen Reflektion und Verarbeitung. Unangenehmen Wahrheiten aus dem Weg zu gehen, ist unangenehm, aber beständig mit ihnen zu leben und umzugehen, noch viel mehr.
Wer mit einer unangenehmen Wahrheit konfrontiert wird, verliert seinen komfortablen Stand und wird aufgefordert, zu handeln. Hier gibt es nicht viele Möglichkeiten: entweder die Wahrheit, der erlebte oder tatsächliche Ist-Zustand, wird abgewehrt und aus dem Bewusstsein verdrängt, oder aber sie wird akzeptiert und in das eigene Selbstkonzept und -verständnis integriert.
Wird sie integriert, verliert sie ihre Bitterkeit, ihren unangenehmen Geschmack. Es wird einfach angenommen, was ist.
Der Blick wird weit, und neue Möglichkeiten ergeben sich. Ich kann mich dazu entschließen, mit dem, was ist, weiter zu leben, ganz bewusst. Oder aber ich kann gezielt auf eine Veränderung, eine Verbesserung hinwirken und gewissermaßen eine neue Wahrheit erschaffen.
Wenn Sie sich z.B. für die unangenehme Wahrheit öffnen, dass Sie ständig zu hohe Erwartungen an ihre Umwelt haben, können sie sich entweder dazu entschließen, diese Tatsache liebevoll in ihr Selbstkonzept zu integrieren („Ja, ich bin nun mal so, das ist meine Natur!“) oder aber damit beginnen, neue Maßstäbe in zwischenmenschlichen Beziehungen anzulegen („Ab heute übe ich verständnisvoller mit meinem Gegenüber zu sein“).
Wenn Sie einen ungesunden Lebensstil pflegen, können Sie diese unangenehme Wahrheit herunterspielen („Es ist ja nicht immer so.“), sie mit lustigen Bemerkungen überspielen („Ich liebe mein Hamsterrad!“) und sich und anderen etwas vorspielen („Quatsch, das stimmt nicht!“). Sie können aber auch nach der Wahrheit fragen: wie verhält es sich wirklich? Wie gesund / ungesund lebe ich wirklich? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Wichtig ist: Finden Sie eine ehrliche Antwort auf unangenehme Wahrheiten.
Verschließen Sie sich unangenehmen Wahrheiten nicht.
Berauben Sie sich nicht der wertvollen Chance, zu erkennen, wer sie sind.
Entwickeln Sie neue Einstellungen und Verhaltensweisen. Erschaffen Sie Wahrheiten, mit denen Sie sich identifizieren und gerne leben.
Und, noch ein wichtiger Punkt: prüfen Sie, was Wahrheit und was Lüge ist. Nicht jede Wahrnehmung ist auch eine Wahrheit. Wahrheit wird realisiert durch Verhalten.